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Wahrlich, sie haben einen weiten Weg zurückgelegt. Einen Weg, den sie selbst geebnet haben, für sich und alle anderen HipHop-Schaffenden in diesem Land. Angefangen hat alles vor über zwanzig Jahren, als ein 17-jähriger Junge aus der Region Lausanne im Kino den Film "Flashdance" sah und von den Breakdance-Szenen so beeindruckt war, dass er, augenblicklich infiziert von einem bis heute grassierenden Virus, mit leuchtenden Augen das Kino verliess. Ohne es zu wissen, war jener Junge, den man heute unter dem Namen Just One kennt, von HipHop befallen worden. Fünf Jahre später, anno 1989, gründete er mit seinem Kumpel Carlos die Gruppe Sens Unik.

Mühsam ergatterten sie sich in einer vom Rock beherrschten Schweizer Musikszene einige Auftritte. Viele Musikschaffende rümpften hier zu Lande angewidert die Nase. Sprechgesang, Gekratze und Recyling von alter Musik, das war vielen zuwider. Doch Sens Unik – damals noch zahlreicher unterwegs – liessen sich nicht beirren. Auf die erste Maxi folgte mit "VIième Sens" im Jahr 1991 die erste EP. Und siehe da, sie wurde gespielt. Besonders mit dem eingängigen Stück "To the Moon Please", das die Zungenfertigkeit von Carlos eindrucksvoll unter Beweis stellte, auf einem Soulsample basierte und den Ohren mit einem gesungenen Refrain schmeichelte, erregten sie Aufmerksamkeit. Ein Jahr später erschien auf ihrem eigenen Label Unik Records das erste Album "Les portes du temps". Der unerwartete Erfolg erlaubte ihnen nun, Konzerte in der ganzen Schweiz und dem benachbarten Ausland zu geben. Bereits damals schafften es die Mannen vom Genfersee, das Publikum während fast zwei Stunden wie eine Bouillabaisse am Köcheln zu halten. Natürlich trug auch die klare Stimme und charmante Erscheinung der Sängerin Déborah, die schon damals dem Sound der Gruppe eine spezielle Note hinzufügte, ihren Teil dazu bei. Die Pionierarbeit von Sens Unik tat langsam ihre Wirkung. Man wartete gespannt auf Neuigkeiten aus dem Hause Unik Records.


Um das darauf folgende Erzeugnis gebührend zu würdigen, beginnen wir hier einen neuen Absatz. Denn was die Gruppe mit dem vor genau zehn Jahren veröffentlichten Album "Chromatic" vollbrachte, darf angesichts der damaligen technischen und musikalischen Entwicklung noch heute als Sensation bezeichnet werden. Streng nach dem Konzept der Farbenlehre operierend, teilten sie die Tracks der Platte den ihrer Stimmung gemässen Farben zu und legten ein Werk vor, das in sich stimmig war und vor Energie nur so strotzte. Alleine in der Schweiz verkaufte sich "Chromatic" über 40'000 Mal. Weltweit wurden bis heute gar fast 80'000 Stück abgesetzt. Dieser Erfolg setzte sich auch auf der Bühne fort. Das Album liess sich live grossartig umsetzen. Schon damals zeigte sich das Bühnentalent von Rapper Carlos, der sich heute von Paris aus ein zweites Standbein als Schauspieler aufgebaut hat. "Das waren wirklich fast übermenschliche Anstrengungen, die wir in diese Platte gesteckt haben. Aber nicht, weil irgendeine Plattenfirma Druck auf uns ausgeübt hat, sondern weil wir es selbst so wollten", erzählt Produzent Just One rückblickend. Und sie wollen noch heute, gut zehn Jahre später. Die Lust zu experimentieren ist ihnen noch lange nicht vergangen. Jedes der drei seither erschienen Alben – die "Best of"-Compilation "Panorama" und die Liveplatte "Propaganda" nicht mitgerechnet – war ein Abbild der musikalischen Entwicklung des Produzenten Just One. Basierten die Beats zu Beginn noch auf langen, nahezu unverändert übernommenen Samples von Soul- und Funk-Stücken, gewannen sie mit den Jahren immer mehr an Raffinesse und Songstruktur.


Drei Jahre nach dem von schnelleren Tempi und ausschweifenden Ausflügen in die elektronische Musik geprägten Album "Abracadabra", erscheint nun ihr neues Werk "Mea Culpa". Dessen Stücke bilden diesmal bewusst nicht die strenge Einheit der vorangegangenen Platten. Das Quartett, das neben dem Soundmeister, Carlos und Déborah aus dem Schlagzeuger Laurent "Bio" Biollay besteht, einigte sich freudig auf die Rückkehr zum klassischen Sens-Unik-Stil. Der Soul bildet nun wieder die Grundlage. Ausserdem ergänzen sich Rap, Gesang und Musik zu bis ins kleinste Detail, jeden einzelnen, sorgsam ausgesuchten Snare-Schlag und jede vibrierend intonierte Note, sorgsam konstruierten Klangbildern. Passend zu der gesamtheitlichen Befreiung von jeglichen Produktionskonzepten, handeln die Texte von Carlos und Déborah von innerer Befreiung, vom Sich-Erklären, vom Reden über die manigfaltigen Probleme, die das Leben für uns bereit hält. "Charly", die erste Singleauskopplung, erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, dem die Flucht aus dem Leben als der einzige Ausweg aus der verzerrt wahrgenommenen Realität erscheint. In "Voisinage" findet ein erregter Mitbürger vor düsterem, schleppendem musikalischem Hintergrund beängstigende Argumente für seinen tiefen Ausländerhass. "Les larmes de l'amérique" thematisiert die aktuelle Rolle der USA und nimmt für den Refrain in ironischer Form die Worte eines alten französischen Hits auf. Dort singt Déborah nämlich insbrünstig "I love America".


Einen der musikalischen Höhepunkte bildet "L'exemple", dessen mitreissender Reggae-Rhythmus für den Refrain mit wenigen Kunstgriffen in eine Soulnummer abgewandelt wird. Auch sonst finden immer wieder rhythmische Experimente und aktuelle Inspiration aus Übersee Eingang in das Programm. Die selbstverordnete Zwangslosigkeit gereicht Sens Unik wahrlich zum Vorteil: Ihr sechstes Album lebt von dem reibungslosen Zusammenspiel der Akteure und ihrem enormen Erfahrungsschatz.